„Wo wohnst du?“
„In Corktown.“
„Ah, im Inn, was?“
Genau so verlaufen die meisten meiner Gespräche in Detroit. Ich mag das. Detroit ist klein. Die Hälfte der Stadt weiß, wo ich wohne.
Reisebericht Detroit,Tag 3. In The Big D war es heute keinen Deut weniger spannend als an den beiden zuvor. Ich habe mich mit vielen Detroitern unterhalten, dabei vielleicht ein wenig ‚Sightseing-Zeit‘ vertan, aber viel über die Stadt und ihre Menschen erfahren und einige Charaktere der Stadt getroffen. Dafür habe ich die zwei wichtigen Museen der Stadt bisher allerdings erfolglos angefahren. Das Motown Museum benötigt einen zweiten Anlauf, damit ich auch Fotos IM Museum machen darf. Und auch das History Museum schloss seine Pforten einfach zu früh.
In einer kleinen Kunstgalerie am Rande von Mexicantown treffe ich eine Instagrambekannte, @detroitpastoral. Wir haben uns nie zuvor gesehen, verstehen uns auf Anhieb. Auf ihrem Weg zum Job fotografiert sie täglich verlassene Häuser in Detroit und hat eine ganze Galerie zusammen. Ihre Beweggründe kann ich sehr gut nachzvollziehen. Zum einen ist sie, als geborene Detroiterin, geschockt, dass es zu so etwas kommen konnte, zum anderen möchte sie diesen Zustand ‚konservieren‘.
„Wo sind all diese Menschen, die sich um ihre Häuser einfach nicht mehr kümmern? Ich kenne niemanden. Wo sind sie hingegangen? Sind sie innerhalb von Detroits einfach umgezogen?Haben sie die Stadt verlassen? Manchmal habe ich das Gefühl, in den Häusern hätten Geister gewohnt, die einfach spurlos verschwunden sind.“
Ich treffe Mavis in einer kleinen Kunstgalerie, die, wie sie mir erzählt, eine ehemalige Polizeistation ist. Und erst jetzt nehme ich die Eisentüren und kleinen Zellen wahr, in denen Künstler nun ihre Verkaufsstände haben. Es mag trist klingen, aber so fühlte es sich überhaupt nicht an. Im Gegenteil. In der Galerie sehe ich zum ersten Mal überhaupt, seit ich in Detroit bin, kleine Kinder. Darunter auch Mavis‘ Tochter, sie hat schulfrei.
Als ich Mavis vor meinem Abflug gefragt hatte, wo wir uns treffen sollen, lautete ihre Antwort:
„Komm zur Galerie. Ich habe hier einen kleinen Workspace. Und vielleicht interessiert dich der Banksy, der hier steht.“
Der was?! Mavis wusste via Instagram genau, wie sehr mich das interessieren würde. Aber das war eine Info, die mich sehr überrascht und freute. Was ein Zufall! Ich wusste, dass Banksy ein Mural in der alten verlassenen Packard Plant hinterlassen hatte und ich wusste auch, dass es abtransportiert worden war. Die Geschichte dahinter kannte ich aber nicht. Nun, jetzt kenne ich sie und werde sie euch so bald ich kann erzählen.
Als ich die Galerie verlasse, fällt mein Blick auf die durchaus beeindruckende Ambassador Bridge, die rüber nach Kanada führt und wieder einmal mit LKW verstopft ist. Ich darf die Grenze mit dem Auto leider nicht überqueren. Aus versicherungstechnischen Gründen denke ich. Sonst wäre ich natürlich mal rüber gefahren.
Dann fällt mein Blick jedoch auf ein Haus, auf dem „Michigan Visitor Center“ steht. ‚Ausgerechnet hier?‘ war mein erster Gedanke, denn das Viertel sah nicht so aus als kämen viele Reisende oder überhaupt viele Leute hier durch. Dann wiederum wurde mir klar, logisch, du bist an der Grenze zu Kanada.
Ich gehe rein. Schliesslich wird mich Michigan zu 90 Prozent in diesem Jahr noch einmal wieder sehen. Mein Blick fällt auf Unmengen von Prospekten und Flyern, Broschüren, Indomaterial. Und auf John. Einen sehr freundlichen, älteren Herrn, den ich mit meinen Fragen löchern kann.
Ob er schon einmal in Drummond Island war möchte ich gerne wissen.
„Drummond Island? No! I’ve never been there. How did Drummond Island come to your attention?“
Ich grinse. Wieder einmal war es ein einzelnes Foto auf Instagram, das mich inspirierte, meine zukünftige Reise so zu planen, dass ich diese kleine Insel hoch oben im Norden Michigans mitnehmen kann.
John zeigt mir einige Broschüren und wir unterhalten uns über die Stadt und die Situation hier. Darüber wie sehr die Bewohner der Motor City auf das Auto angewiesen sind. Ich will wissen, wie lange sein Weg zur Arbeit dauert.
„Eine halbe Stunde mit dem Auto. Würde ich den Bus nehmen müssen, müsste ich 3 Mal umsteigen und wäre für eine Strecke 2 Stunden unterwegs. Manche Leute kommen rein und wollen wissen wo die U-Bahn fährt. Dann sage ich: Wir sind in der Motor City. Hier gibt es keine U-Bahn.“
„Vielleicht verbirgt sich unter der Erde ja doch eine, bei all dem Dampf, der aufsteigt.“ sage ich.
„Das hätten ‚die großen 3‘ niemals zugelassen!“ erwidert John.
Die großen 3? Klar. Ford, GM und Chrysler. Die Autobauer der Stadt, die in Detroit damals für glorreiche Zeiten sorgten.
Um mal wieder etwas länger Auto zu fahren, steuere ich von hier Belle Isle an. Eine kleine Insel im Detroit River, hinter der die Grenze zu Kanada verläuft. Richtig interessiert hatte mich die Insel eigentlich nicht da ich glaubte, es sei schlicht eine Insel. Ich meine… Klar, für die Detroiter ein ruhiger Ort mit Strand direkt am Wasser. Aber was sollte ich mich wieder mal irren. Belle Isle war einer der für mich bisher schönsten und einprägsamsten Orte überhaupt.
Da änderte auch der Wagen der State Police nichts, den ich auf der Insel nicht richtig los wurde. Kennzeichen Check dürfte in den ersten Sekunden nach meiner Ankunft erfolgt sein.
Ein paar Minuten später höre ich ein „You come up all the way from warm Florida to this cold!“
Ich höre mich sagen, dass nur der Wagen aus Florida kommt. Bin aber froh, dass ihn das nicht weiter interessiert. Wahrscheinlich weiß er eh schon alles über mich.
Belle Isle erreiche ich über eine eindrucksvolle Brücke mit spektakulärer Aussicht. Die ganze Insel ist ein Eisklumpen, den man auf einer Einbahnstraße erfahren kann.
„You did not want to turn around here, did you?“ Der Cop wieder.
„Noooooooooo.“ Ach Quatsch. Ich?
Verschneit und vereist liegt die Insel vor. Der Blick auf die Detroiter Skyline gerichtet. Umgeben von einem stark zugefrorenen Detroit River. Dazu klirrende Kälte und stahlblauer Himmel. Wow! So etwas habe ich noch nicht gesehen! Ich bin komplett hin und weg und heilfroh, Michigan zu diesen harten Winterzeiten zu erleben, zu denen eigentlich kein Mensch freiwillig nach Detroit kommt.
Die Eisplatten im Fluss krachen und knirschen und ich könnte stundenlang zusehen wenn ich nicht vor Eiseskälte fast erstarren würde. Ein paar Fotos müssen reichen dann husche ich zurück in den Wagen. Die Sitzheizung ist ohnehin schon im Dauerbetrieb. Meine Finger spüre ich schon kaum noch.
Ich umrunde die Insel, außer dem Cop treffe ich fast niemanden. Ausser vielen Enten und einem toten Possum, das ich, so wie es da lag, am liebsten gedrückt hätte. Ich komme vorbei an Spielplätzen, der US-Coast Guard, einem kleinen Zoo und dem Detroiter Yacht Club. Wohl alle haben schon bessere Zeiten erlebt. Daher hat jetzt der Staat Michigan die Insel von der Stadt übernommen und kümmert sich um die Instandhaltung. Der Besuch der Insel ist daher (offenbar) nicht mehr kostenlos.
Nach so viel Natur und Schönheit bringt mich mein nächster Stop nach Dearborne – die Heimatstadt von Henry Ford und Sitz des Hauptquartiers der Ford Motor Company, gelegen südwestlich von Detroit. Früher wurde hier das Ford T-Modell gebaut, heute wird der F-150 hergestellt. Mein Stop ist ein ungewöhnlicher, denn ich will zu Warholak Tires. Einem alteingesessenen Detroiter Reifengeschäft, das sich bereits seit 81 Jahren hält. Eine Reifenpanne habe ich zum Glück nicht, aber in der Metro Times las ich ein Interview mit Paul, einem dem Inhaber, das mich inspirierte, direkt hinzufahren. Dort angekommen traf ich seinen Bruder, Mike. Auch dazu bald mehr.
Wie war es denn jetzt schon später Nachmittag geworden? Warholak Tires schloss die Pforten, und mir fiel auf, dass ich Hunger hatte. Ich wollte zu Louis Pizza. Eigentlich nur weil irgendwo stand, dass der Laden berühmt sei für seine eckige Pizza. Eckige Pizza? Ich sprang total drauf an.
Ich gab die Adresse ins Navi ein, ohne das ich komplett aufgeschmissen wäre, und fuhr los. Der Weg führte mich nach Hazel Park. Googelt man danach, ergänzt die Suchmaschine als erstes „Dentist“. Ich lese weiter weil mich der Weg hierher betroffen machte. So viele verlassene und abgebrannte Häuser auf einem Fleck. Dazwischen viel nicht abtransportierter Müll, Pitbulls in den Vorgärten der noch bewohnten Häuser, ein Feuerwehrwagen hat gerade einen Einsatz steht in einer Seitenstraße.
Google erklärt mir, dass Hazel Park die 6. höchste Autodiebstahlrate in ganz Michigan hat. Auch im Vergleich zu den ganzen USA hält sich Hazel Park in dieser Hinsicht tapfer. Mein Auto, das ich direkt vor Louis Pizza parke, ist jedenfalls am späteren Abend noch da.
Der Laden an sich scheint eine jahrzehntelange Institution zu sein. Im Eingang hängen Unmengen von alten Zeitungsartikeln und Fotos von prominenten Besuchern, wie es sich für einen offenbar bekannten Pizzaladen eben gehört. Ich bekomme einen Tisch und muss am Ende feststellen, dass auch eckige Pizzen nicht leichter sind als runde. Irgendwie lecker war sie schon. Aber der Teig schmeckte, als wäre er frittiert worden. Knusprig, aber unglaublich fettig. Aber die typisch amerikanische Atmosphäre und ja, auch der Weg an der 8 Mile Road vorbei hierher, sorgten für eine weitere bleibende Erinnerung.
Es ist Freitag Abend. Einen Parkplatz kriege ich daher nicht sofort. Das Slows ist brechend voll und auch meine schon vertraute ‚Verrückte‘, die jeden Autofahrer, der länger als 2 Sekunden hält, anspringt, ist wieder da. Auch an diesem Abend werden viele Slowsbesucher versuchen, durch meine Tür in die Bar zu kommen. Nur schrecke ich deswegen nicht mehr hoch.
Ach Detroit, ich liebe dich.
Weitere Live-Blogposts über Detroit:
Tag 1 in Detroit – auf der Suche nach Eminems Elternhaus
Tag 2 in Detroit – Arschkalt aber wunderschön
Liebe Heike, es ist schön, daran teilhaben zu dürfen, wie Dich die Stadt immer mehr in Ihren Bann zieht. Ich bin total anders. Immer, wenn ich einen Ort kennen gelernt und lieben gelernt habe, nehme ich mir vor, diesen erneut zu besuchen. Und tue dies doch (fast) nie. Viele berührende Erfahrungen in Detroit noch. Christina
Ich bin begeistert … es ist fantastisch daran teilzuhaben wie Du diese Stadt kennenlernst, eine Stadt die eigentlich jeder vergessen hat. Aber Du schaffst es mit den Fotos und den Texten absolute Neugierde zu wecken auf die Menschen und das Leben in Detroit. Super und dickes Danke.
LG sendet Dani
Ein kurzer Blick in meine Glaskugel sagt mir, dass in Detroit auch heute noch sehr viele versteckte Schätze zu finden sind. Hier zu sein, ist nicht wie in einem Roman oder einem Bilderbuch. Es spiegelt das Überbleibsel einer florierenden Stadt dar, die besten überleben, nicht (nur) das Unkraut. Obwohl auch einiges übel sein mag, die Kriminalität und der Moloch, die Teile der Stadt in der Hand haben, es gibt doch wie überall Menschen, die sich davon nicht beeindrucken lassen und ihr Leben (weiter) (zu Ende) leben.
Ein wenig Trauer – dass es nicht immer so sein kann wie es mal war in der Motown – leben und sind spürbar in den Artikeln, die mich von ihrer Natürlichkeit und Nähe zum Alltag sehr überzeugt haben.
[…] Tag 3 in Detroit – Von Charakterköpfen und dem kältesten Fleckchen der Stadt […]