Doel – Ein altes, belgisches Dorf direkt am Fluß Scheldt. Schmale Straßen, angelegt im Schachbrettmuster, kleine Backsteinhäuschen mit Blick direkt auf den Hafen. Ein Marktplatz, Höfe, große Wiesen, es gibt Kühe und Schafe, einen Spielplatz, eine alte Mühle, einen Deich und eine Dorfkneipe. Dazu einen unvergesslichen Blick auf den ein Sonnenuntergang. So sah es in Doel vor 700 Jahren schon aus und im Prinzip hat sich daran nicht viel geändert. Doch heute sind fast alle Häuser im Ort verlassen.
1982 wurde ein Atomkraftwerk, das in nächster Nähe gebaut worden war, in Betrieb genommen. Seine zwei qualmende Kühltürme verleihen dem Dorf eine eindrucksvolle aber auch bizarre Kulisse. Doch Doel ist nicht nur aufgrund der Nähe zum Atomkraftwerk ein nicht ganz normlaes Dorf – seit gut 15 Jahren findet hier kein unbeschwertes Dorfleben mehr statt. Am Reaktor liegt das allerdings nicht.
Ich habe Doel schon mehrfach besucht und mehrere Artikel auf Köln Format veröffentlicht:
- ein skurriler Abend in der Dorfkneipe in Doel
- Wie ROA und andere Künstler Doel in ein Kunstwerk verwandelten
Übersicht
Doel – das Geisterdorf
Nicht immer müssen Reiseziele weit weg sein. Manchmal reicht eine 2 stündige Autofahrt um einen Ort zu finden, der anders ist als der eigene, der dich inspiriert, zum nachdenken bringt und dir einen Tritt in den Arsch verpasst weil er deine Seele auf Trab bringt. So einen Ort habe ich gefunden. Nicht etwa auf einer abgelegenen Insel, sondern in einem kleinen Dorf in Flandern, Belgien.
Die letzten Einwohner in Doel
Doel ist ein Geisterdorf. Seit nun mehr knapp 40 Jahren. Eingequetscht zwischen einem Atomkraftwerk und dem Antwerpener Hafen. Genau diesem Hafen sollte der 700 Jahre alte Ort zum Opfer fallen als die Regierung beschloss, ihn auszubauen und die historischen Häuser abzureissen, seine Bewohner zu enteignen. Die Regierung beschloss über die Köpfe der Bewohner von Doel hinweg, dass die Lebensqualität, die das Dort biete, nicht ausreichend sei um dort weiter zu wohnen.
Doch die Bewohner wehrten sich mehr oder minder erfolgreich gegen die Pläne der Regierung, das Dorf nieder zu walzen. Widersetzen sich sogar einem Räumkommando, das extra aus Brüssel anrücken musste. Worauf die Doeler noch heute besonders stolz sind. Sie blockierten über Tage hinweg die einzige Zufahrtsstraße, kletterten auf die Hausdächer und erarbeiteten einen genauen Schichtplan, wer wann wo im Einsatz sein muss um Wache zu halten. Mehrere Tage hielten sie durch, dann zog die Regierung das Räumkommando wieder ab. Von damals knapp 1000 Einwohnern leben heute nur noch 26 in Doel.
Das rettete das Dorf Doel in Belgien aber nicht. Es ist weiter dem Abriss geweiht, spätestens 2020 soll es verschwinden. Auch wenn mittlerweile strittig ist, ob der Antwerpener Hafen wirklich ausgebaut werden muss oder die jetzige Kapazität doch ausreicht. Im Laufe der Jahrzehnte viele Bewohner auf. Zu groß war der Druck der Regierung, die klar stellte, man gehe später eventuell leer aus, wenn man sein Haus jetzt nicht verkaufe. Zudem kamen immer mehr Fremde in das Dorf, die leerstehende Häuser besetzten, wilde Parties feierten, billige Pornos drehten oder schlechte Musikvideos. Graffitikünstler verwandelten das Dorf in eine riesige Leinwand und feierten eine Raveparty nach der anderen. Sehr vielen Einwohnern missfiel das, andere freuten sich darüber, dass die rote Backstein-Tristesse ein wenig Farbe bekam.
Heute wohnen in Doel noch 26 Menschen.
Als ich in Köln losfahre, weiß ich nicht, ob das Dorf überhaupt noch steht. Die 2:15 Fahrtzeit für eine Strecke riskiere ich, ohne vorher zu recherchieren. Denn ich wäre nicht minder neugierig gewesen, wenn es bereits abgerissen worden wäre. Das Navi steigt kurz vor dem Ziel komplett aus. Die Straße auf der ich fahre, gibt es angeblich nicht. Gut, denke ich, wahrscheinlich komme ich zu spät. Ich fahre weiter. Vorbei geht es an großen Industrieanlagen, Schiffswerften, riesigen Parkplätzen voller Neuwagen, die verschifft werden sollen. Vor mir tauchen die Kühltürme eines Atomkraftwerkes auf! Was eine Kulisse, denke ich. Dass ich kurze Zeit später fast neben dem Atomkraftwerk parken würde, das war mir nicht klar. Dann erreiche ich eine Landstraße, wenig später das Schild ‚Doel Centrum‘. Ich bin da. Doel gibt es noch!
Doel – ein Dorf voller Streetart
Ich halte vor einer geöffneten Schranke, neben der ein großes, gelbes Schild uns und alle anderen Besucher über einige Verhaltensregeln aufklärt. Eine Mischung aus Erleichterung, Interesse, Neugier, Aufregung und Vorfreude steigt in mir hoch. Das Atomkraftwerk immer im Blick. Ich biege langsam auf eine lange, schnurrgerade Straße ein, die mich bis an den Fluß Scheldt führt, an dem Doel liegt. Einzelne Häuser tauchen auf, die Zufahrtswege allesamt mit großen, grauen Betonblöcken versperrt. Von einer Lagerhalle steht nur noch ein Gerippe. Alle Wände sind besprüht. Ich fahre an einer großen Krähe vorbei, nur kurze Zeit später an einer riesigen Ratte, die über die Länge eines ganzen Hauses reicht! Und auch deswegen bin ich hier!
Denn der belgische Streetartist ROA hat in Doel viele Spuren hinterlassen und im Laufe der Jahre zahlreiche Wände mit seinen einzigartigen Tier-Murals besprüht. Wer die ROA Murals also erkannt – in einem nächsten Post gibt’s mehr dazu! Dann verrate ich euch auch, was ich in Doel erlebt habe, als ich einen Abend in der einzigen Kneipe des Dorfes verbrachte…
Aufmerksam geworden auf Doel bin ich durch diesen Artikel.
Meine Güte, was für ein Schicksal! Was mich interessiert: Wie leben die 26 verbliebenen Einwohnen in Doel? Irgendwie gruselig. Die Leute werden ja auch nicht alle Tür an Tür wohnen, sondern über das Dorf verteilt. Graffiti von ROA & Co. hin oder her: Was sich einem täglich bietet ist Schutt, Asche, Müll … Und ein Atomkraftwerk vor der Nase. Ich wäre deprimiert und wütend, hätte schon längst aufgegeben. Was haben die Leute gesagt? Ich habe ein Foto auf Instagram gesehen: Die Frau, die zum Tee (oder Kaffee?) eingeladen hatte. Bin neugierig.
Adventliche Grüße (auch wenn die nicht so recht zum Blogpost passen …)
Jutta
@Jutta – Vielen Dank für dein Interesse! Ja genau, die Frau mit der ich mich zum Kaffee getroffen habe…dazu folgt ein Post sonst wäre dieser hier zu mächtig geworden. Ich glaube nicht, dass sie das was du ansprichst als so fruchtbar empfinden. Und das Atomkraftwerk ist tatsächlich ‚einfach da‘. Es sichert viele Arbeitsplätze. Mehr bald!
Danke! Ich bin gespannt!
Jutta
Sehr schöne Fotos! Ich bin schon auf den nächsten Doel Post gespannt. Ich frage mich auch, wie das Leben dort so ist. Ich könnte es mir in diesem Dorf nicht mehr vorstellen. Dabei sind die Backsteinhäuser zum Teil echt schön. lg Katrin
@Katrin – Kommt, kommt. 😀
Das ist doch mal eine Reportage – authentisch Kaufhold und richtig gut. Schade, dass man damit in Deutschland kein Geld verdienen kann. Das geht mir mit street62.de ja schon länger so. So bleibt es bei dem echten Lob als Balsam für die Seele.
@Michael – Vielen Dank für deine Worte. Nein, das Print anzubieten kann ich mir nicht leisten. Darüber habe ich mich ja schon häufiger ausgelassen. Für eine evtl. Einnahme von 200 – 250 € funktioniert das so nicht. Da mach ich es hier. 😉
Heike mein Beifall, in dem Moment wo Du vor Ort warst wird für die 26 Einwohner mal wieder eine Abwechslung gewesen sein. Wie leben die 26 verbliebenen Einwohnen in Doel? Graffiti von ROA & Co. hin oder her und ein Atomkraftwerk vor der Nase und diese Verlassenheit im Ort? Die Frau, die zum Tee eingeladen hatte, Foto auf Instgram hat schon diese Fragen bei mir bewirkt.
Freue mich auf den nächsten Bericht und die Fotos.
Klasse!
Liebe adventliche Grüße sendet Dir
Dani
@Dani – Danke! Ich hau rein… 😀 Vielen Dank für dein Feedback…
wie cool – hätte ich ein auto, ich würde mich sofort reinsetzen und losfahren!
Schön-traurige Geschichte. Mal schauen, vielleicht schau‘ ich mir das nächstes Jahr mal an, wenn es noch geht. 🙂
Geschichte. Mal schauen, vielleicht schau’ ich mir das nächstes Jahr mal an, wenn es noch geht. 🙂
Ich liebe solche Geschichten einfach.
Es erinnert mich ein wenig an Prypjat, den Ort neben Tchernobyl, bei dem es mich ja immer noch reizt einmal dort hinzufahren.
Mich würden vor allem ein paar Augenzeugenberichte reizen. Gerade die Entscheidung von damals, ein komplettes Dorf zu schleifen muss ja eingeschlagen.
In München wurde übrigens auch ein komplettes Dorf für den neuen Flughafen umgesiedelt.
LG Phil
Hallo, interessanter Bericht mit schönen Bildern. Wer ROA sehen will, findet ihn auch in Köln Ehrenfeld.
http://streetartist.de/2011/09/08/roa-at-cityleaks-festival-in-cologne/
@Richie – Vielen Dank! Und ja, ich weiß, in Köln gab es 3, jetzt noch 2 ROA. Schau mal hier: https://www.koeln-format.de/2013/06/16/die-etwas-andere-kaninchenverschwoerung-von-koeln/
@Heike: Geil, Dein frontaler Schnappschuss vom Kaninchen. Meiner ist wegen der Perspektive und fehlender Skills bzw. limitierter Kamera nur halb so schön. Ich war vor ca. 6 Wochen in London unterwegs und ROA hat mich total geflashed…. Den in Ehrenfeld habe ich nicht gesucht. Ich hab‘ irgendwann mal rechts in die Seitenstraße gekuckt und dann war dort das gehäutete Kaninchen und ich baff… Danke für den Tipp z.T. Kaninchenverschöwung.
Geisterdörfer kenne ich nur von meinem Road Trip quer durch Amerika: http://janasreisefieber.blogspot.de/2013/11/da-wir-keine-groen-fans-von.html
Aber ein Geisterdorf direkt vor der eigenen Haustür – bisher unvorstellbar. Danke für die tollen Einblicke und die wundervollen Fotos.
Was für ein Abenteuer! Da hab ich letztens erst tagelang über deine Geister-Siedlung in Puerto Rico nachdenken müssen, und jetzt tust du einen in der Hinsicht viel krasseren Ort „ganz in der Nähe“ auf. Die Atmosphäre dort muss sehr befremdlich sein. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung!
Auf unserer Radtour an der Weser haben wir mal in unmittelbarer Nähe zum Atomkraftwerk Grohnde genächtigt, das war auch ein merkwürdiges Gefühl und irgendwie unbehaglich. Aber man gewöhnt sich dran und denkt irgendwann nicht mehr drüber nach, hat unsere Vermieterin damals gesagt. Ich denke auch, dass das noch das geringste Problem von Doel ist.
[…] sehen. Ich benötige einen Plan. Wer die Geschichte des Dorfes Doel noch nicht kennt, sollte zuerst meinen ersten Artikel über Doel […]
[…] Ein Geisterdorf voller Streetart – wie Dole gegen den Abriss kämpft […]
[…] Auch andere Blogger wie Köln-Format: Das Geisterdorf voller Streetart – Wie Doel gegen den Abriss kämpft […]
Ich bin heute nach Doel gefahren und war etwas erschrocken wie viel da doch los war. Der Ruf der „Geisterstadt“ hat sich entsprechend rum gesprochen und gegen Mittag wurde es sogar richtig voll.
Schade fand ich, dass einige der großen Grafitis mit kleineren Schmierereien verunstaltet wurden. Ansonsten konnte man erstaunlich viele Häuser betreten. Ob dies allerdings gewollt ist wage ich zu bezweifeln, zumindest Nachmittag fuhr ein Streifenwagen rund der hin und wieder einige Fotografen ermahnte.
Ansonsten hat das Dorf immer noch Charme und Lohnt sich definitiv für einen Besuch!
Ja, das war leider vor Jahren schon so. Auch die Roa Werke sind an sich nur Übungswerke, Bilder mit denen ROA sich damals ausprobierte. Das Dorf ist schon lang Ausflugsziel und man findet sogar eine Übernachtungsmöglichkeit wenn man die Augen offen hält. Wenn, dann aber Freitags abends hin, wenn die Dorfkneipe auf hat. DANN bekommt man wirklich ein wenig Doel-Stimmung mit, von der authentischen Seite…und nein, in die Häsuer gehen ist natürlich nicht gewollt bzw auch teils gefährlich. Einer der letzten Bewohner dort passt auf, dass das nicht wirklich passiert, Caphowdy.