Als ich klein war – und auch größer – kannten meine Eltern nur ein Reiseziel: Dänemark. Jedes Jahr fuhren wir dorthin und die Autoreise wurde zum Ritual. Rückblickend variierte lediglich ab und an das Ziel unseres Aufenthaltsortes. Denn wenn sich ein geeignetes Ferienhaus gefunden hatte, warum dann im nächsten Jahr neu suchen? Man wusste, was einen erwartet.
Meist ging es also nach Læsø. Eine Insel hoch oben im Norden des Landes. Ich möchte behaupten, es ist nicht möglich, weiter weg zu fahren wenn man auf dänischem Grund und Boden bleiben will. So weit gen Norden wie es geht und am Ende rechts abbiegen. Vom Sauerland ist Läsö über 911 Kilometer weit entfernt. Das bedeutete eine reine Fahrtzeit von mindestens 10 Stunden! Wenn alles gut läuft. Was es gen Norden nun mal meist nicht tut. Und wenn du glaubst, du bist endlich da, musst du auf die Fähre warten und noch einmal 90 Minuten übersetzen. Und wenn es scheisse läuft, ist sie gerade weg.
Mein Vater besass damals als einziger einen Führerschein. Nein, das stimmt nicht ganz. Er war der einzige, der fahren konnte. Meine Mutter hätte auf legale Art ein Fahrzeug bedienen dürfen, das wollte aber keiner. Am wenigsten zum Glück sie selbst.
Mein Dad war ein Kämpfer hinter dem Steuer, kannte keine Müdigkeit und zog jede lange Fahrt in einem durch. Nur manchmal zwang ihn die Müdigkeit, an einer Raststätte raus zu fahren. Dann kurbelte er den Sitz nach hinten und hielt einen wenige Minuten dauernden Power Nap. Meine Mutter hielt die Rolle der besorgten Beifahrerin inne, die aus ‚Solidarität‘ mit bremste wenn sie glaubte, es würde ernst.
„Herbert! Herbert, pass auf! Da!“
In solchen Momenten streckte sie blitzschnell die Füße auf die imaginären Bremspedalen (mindestens zwei), die linke Hand wanderte auf den rechten Oberschenkel meines Vaters, die rechte zeigte zum Fenster raus auf den Gefahrenpunkt, ihr Rücken drückte sich fest gegen den Sitz. Wir waren keinesfalls kurz vor Massenkarambolage, sondern wurden lediglich rechts überholt.
„Ach Renate!“ schnalzte er dann manchmal. Meist aber gelang es ihm, das mitbremsen zu ignorieren. Im Gegensatz zu mir. Ich verdrehte die Augen auf der Rückbank, rutschte tiefer in meinen Sitz und drehte die Kassette im Walkman um. Geschwister Fehlanzeige. Mein Vater hatte eine Auswahl an Musik dabei, die mich fast in den Wahnsinn trieb. Denke ich heute an diese Lieder zurück, stellt sich allerdings so ein wohliges Gefühl der Kindheitserinnerungen ein.
Nun ist mir rückblickend betrachtet nicht ganz klar, warum ausgerechnet diese Insel unser Ziel sein musste, auf der es genauso windig, genauso regnerisch und genauso öde war wie wahrscheinlich knapp 300 Kilometer weiter ‚unten‘. Nun gut. Die Eltern wollten es so, also wurde es so gemacht. Und wenn man schon mal so weit fährt, dann kann man gleich 3 Wochen bleiben. Ich hatte generell natürlich nichts gegen 3 Wochen Urlaub.
Aber nach 3 Wochen im Dauerregen und Sturm hatte ich auch als Kind die Schnauze voll. Da half auch keine Dauerschleife von Spieleabenden. Ich war irgendwann durchaus bereit, mir oder jemand anderem die Kugel zu geben. Ich meine, auf Läsö wohnten nicht einmal 2000 Menschen und die Insel ist die am dünnsten besiedelte Gemeinde Dänemarks.
Denn wofür um alles in der Welt hatten wir die Räder mitgeschleppt? Räder, die mein Vater oben auf dem Dach montieren musste und die so verhinderten, dass wir mal richtig Gas geben konnten. Auch auf der Insel fiel das Gas geben aus. Die wenigen Straßen bestanden teils aus dicken Steinen oder der heftige Gegenwind samt kaltem Regen brachte mich zum hysterischen Heulanfall. Vor allem weil es kein echtes Ziel gab, sondern uns der Radweg wieder am Ferienhaus ausspuckte. Als Urlauber in Dänemark geniesst man eben die 4 Wände des Ferienhauses.
Während meine Mutter im Auto gerne und schnell auf die imaginäre Bremse trat, gelang es ihr beim Radfahren nicht. Der neue Drahtesel hatte keinen plötzlich Rücktritt mehr und so sahen mein Vater und ich fassungslos zu wie sie rückwärtstretend in den Graben fuhr.
„Vorne! Die Bremsen sind …!“ Rums.
In diesen 3 Wochen lernte ich irgendwann ein dänisches Mädchen kennen, das ein Pferd besass. Pernilla. Sie liess mich reiten und wir verständigten uns mit Händen und Füßen. Wie wir dabei über die Runden kamen, daran kann ich mich nicht mehr erinnern aber wir schrieben uns lange Zeit Briefe danach.
Einige Jahre kehrten wir in dieses Ferienhaus zurück, bis das Wetter selbst meinen Eltern zu unberechenbar wurde. Und so fuhren wir jeden Sommer in den darauffolgenden Jahren 15 Stunden lang in die entgegengesetzte Richtung.
Meine Eltern lesen hier mit, aber wir haben schon häufig über diese Szenen gelacht. Sie mögen mir das verzeihen. Schliesslich gab ich Dänemark eine neue Chance – auch wenn das 20 Jahre dauerte. Dazu bald mehr. Was habt ihr für Kindheits-Reiseerinnerungen? An welches Land und gute oder schlechte?
ach Dänemark. Wir waren nur einmal dort. Es regnete ebenfalls ununterbrochen und ich begann die Namen von internationalen Fußballspielern in den Raum zu brüllen. Muss gefühlte 100 Jahre her sein.
@Ben – Da wär’s bei mir recht still geblieben. 😛 Also das mit dem Wetter ist auch das Haupt*problem*…
Kindheitserinnerungen an Urlaube (was ich heute früh zum letzten Beitrag schrieb, bezog sich auf eigene Urlaube) habe ich wenig. Meine Eltern sprechen keine Fremdsprachen (ich auch nur bedingt ;-)) und haben daher den Urlaub in Deutschland vorgezogen. Nicht daß ich das jetzt schlimm fände, denn auch in Deutschland gibt es viele schöne Ecken.
Mein Vater war auch der Fahrer, meine Mutter dafür die Kartenleserin. Die weiteste Fahrt ging in den südlichsten Zipfel Bayerns (vom Ruhrgebiet ausgesehen auch ’ne Ecke). Dort haben wir auf den Bergen eine Schneeballschlacht im Sommer gemacht und einen Sommer (ich glaube es war in Bayern) auch mal komplett im Regen verbracht. Leider verblassen diese Erinnerungen so langsam, weil es ja doch schon ein paar Jahre her ist. Manchmal finde ich es tatsächlich schade, daß unser Gehirn kein Dauerspeicher ist und Dinge die jetzt nicht sooo außergewöhnlich waren irgendwann in Vergessenheit geraten.
LG
Michael
@Michael – Deutschland zu entdecken steht auch auf meiner Wunschliste, allerdings rutscht es tatsächlich ab und an wieder nach hinten. Bevor das falsch rüberkommt, ich bin total dankbar, dass wir in Urlaube gefahren sind!
Meine Eltern und ich sind 15 Jahre lang immer in den Bayrischen Wald gefahren, ein kleiner Ort Namens ‚Tiefenbach‘ in der Nähe von Passau war jedes Jahr für 3 Wochen unser Ziel. Und ähnlich wie bei euch, hatten wir auch immer die gleiche Unterkunft. Warum tut man Kindern sowas an? ;o) Ich fand das ganz furchtbar und mit Vollendung meines 18 Lebensjahres hatte ich mir geschworen, niemals dorthin zurück zu kehren. Aber heute würde mich doch mal interessieren, wie es inzwischen dort aussieht…
@Daniela – <3 Absolut! Wobei irgendwie im nachhinein auch genau DAS die Momente sind, an die man sich erinnert. Und gerade beim nachlesen über Läsö im Netz muss ich ehrlich sagen, dass ich fast schon geliebäugelt habe damit, mal wieder hinzufahren. "Einsam, kleinste Kommune, nur eine 22km lange Straße"...Hmm... 😀
Wobei ich gestehen muss, dass ich Bayern noch schlimmer gefunden hätte - so ganz ohne Meer. Haha. 😉
Da kann ich dir nur Recht geben, mir wäre Dänemark auch lieber gewesen!
Das kommt mir zum Teil sehr bekannt vor… 🙂
Die Fahrt habe ich allerdings damals selten mitbekommen. Wir wurden mit Proviant hinten verfrachten und vor der Autobahnauffahrt wurden die Pakete geplündert, keine 30 km weiter schliefen wir schon auf der Autobahn. Zum Glück war das Nachtfahren für meinen Vater kein Problem, so dass es wohl für uns alle insgesamt entspannter war 😉
Kaum hatte man die Döppen aufgemacht, ertönte „Österreich 3“ im Radio.
Unser Dauerziel hieß Steiermark im Örtchen Semriach. Was hasste ich es zu wandern, die Kühe zu beobachten und die Alm zu erkunden…
Heute? Heute wohnen meine Eltern dort und ich bin gern dort. Nach 17 Jahre Pause mag ich auch wieder die Landschaft und entdecke alles neu – kann kaum verstehen, was ich als Kind dort so schrecklich fand 😉
Ich erinnere mich mit Wonne an die leckeren, roten Hot Dogs in Dänemark… *hmmmm* 😉