Update: Robert Basic hat meinen Artikel aufgegriffen und diesen veröffentlicht: „Wenn der Deutsche Staate seine eigenen Bürger nicht schützt!“ Darin auch die Äußerung einer Sprecherin des Auswärtigen Amtes. Kurz darauf erhielt Jürgen eine E-Mail der deutschen Botschaft in Manama,
„… dass mangels gesetzlicher Grundlage die von Ihnen erbetene Übernahme der Gerichtsgebühren und Anwaltshonorare für das Auswärtige Amt nicht möglich ist.“
Mehr dazu hat Jürgen in seinem Blog veröffentlicht: Jahr 2 Tag 38: Jetzt mal im Ernst.
http://me-livingontheedge.blogspot.com/
„Wie ein Zuschauer beobachtet man, dass mehr und mehr alles nur noch an einem vorbeigeht. Das Leben, die Tage, die Wochen und Monate. Ereignislos, regungslos, sinnlos.“
Jürgen sitzt seit fast 400 Tagen in Bahrain fest. Er ist eines von etwa 4000 Opfern des sogenannten Travelban – einem strikten Ausreiseverbot, das Ausländern auferlegt werden kann, die höhere Schulden in dem Wüstenstaat gemacht haben bzw. gemacht haben sollen und denen somit ein Zivilprozess droht.
Das hier ist ein Auszug aus seinem sehr persönlichen Blog „Living on the Edge“, den er schreibt und veröffentlicht, um nicht komplett durchzudrehen und um Familie und Freunden regelmäßig Lebenszeichen aus dem Wüstenstaat zu senden. Aber auch um auf sich und sein Schicksal aufmerksam zu machen und jemanden zu finden, der sich seiner annimmt und ihn da herausholt. Denn seine Lage scheint aussichtslos.
Jürgen ist gefangen in diesem aus 33 Inseln bestehenden Staat im Persischen Golf, der regiert wird von einer Königsfamilie. Demokratie? Fehlanzeige.
Doch wie kam es dazu?
Der Travelban ermächtigt Banken und Kreditinstitute, das Zivilgericht anzurufen und so jeden Reisenden, der auch nur in Verdacht steht, Schulden im Wüstenstaat Bahrain zu haben, an der Ausreise zu hindern. Sie dürfen die Ausländer so lange festhalten, bis ihre vermeintlichen Schulden getilgt sind. Entstanden ist der Travelban, nachdem immer mehr Ausländer, die in Bahrain investiert hatten, einfach abgereist waren OHNE ihren Verpflichtungen nachzukommen. Was aber, wenn der Travelban Menschen zu Unrecht auferlegt wird?
„Wie in einem Cocon fühle ich mich seit Monaten. Unfähig, mich zu bewegen, etwas anzupacken, zu denken, mich zu konzentrieren. Mehr und mehr Isolation, Verlust des Zeitgefühls, Gleichgültigkeit. War nicht gerade erst Weihnachten und jetzt ist schon Juni ? Das halbe Jahr ist schon wieder rum ? Mein Gott.“
Im Mai 2012 landete der 48-jährige Deutsche in Manama. Bereits ein Jahr zuvor hatte er als Manager dort gearbeitet, das Projekt wurde aber abrupt beendet, nachdem die Firma seine letzten beiden Gehälter nicht ausgezahlt hatte.
„Ich habe zu spät erkannt, mit was für windigen Leuten ich es zu tun hatte“, sagt Jürgen. „Als ich sah, dass der Laden systematisch gegen die Wand gefahren wurde, habe ich meinen Posten niedergelegt und bin zurück nach Deutschland.“
Das war Ende 2011. Das Unternehmen ging den Bach runter, schuldete ihm aber bei seiner Ausreise nach Deutschland durch geplatzte Schecks 6 Monatsgehälter.
Im Mai 2012 kehrte der Deutsche für ein kurzes Projekt zurück nach Bahrain. Als er an keinem Automaten Bargeld abheben kann, erfährt er: gegen ihn ist ein Gerichtsverfahren anhängig, alle Konten seien gesperrt, die Ausreise zudem nicht möglich!
Was war passiert?
Ein Unternehmen in Kuwait hatte ihn als Repräsentanten seines Ex-Arbeitgebers verklagt. Denn der Deutsche wurde im Handelsregister als Eigentümer eingetragen und nie gestrichen, trägt daher formal bis heute die Verantwortung. Das bedeutet: Er soll 700.000 Euro zurückzahlen. Macht er das nicht, darf er Bahrain nicht verlassen. So berechtigt die Forderung ist, so wenig hat der 48-jährige Deutsche nach eigener Aussage damit zu tun:
„Zu dem Zeitpunkt war ich dort gar nicht mehr beschäftigt. Das Verfahren für diesen Fall wird 5-10 Jahre dauern. Daher habe ich einen Widerspruch eingereicht, in dem ich darlege, dass ich kein Eigentümer war, keinen Zugriff auf Geld hatte. Das Gericht hat den Antrag abgelehnt, behauptet weiter, ich sei Eigentümer. Jetzt geht es in die Revision, das ein weiteres Jahr dauern kann. Wenn das schief geht, muss ich warten, bis der Hauptfall ausverhandelt wird. Also 5-10 Jahre.“
Doch niemand fühlt sich verpflichtet, zu helfen und Bahrain gibt keine Fristen vor. Und so sitzt der 48-jährige mittlerweile seit mehr als 13 Monaten dort unten fest. An ihm nagt die Verzweiflung. Die Aussichtslosigkeit, seine Kinder wieder sehen zu können, oder seine Freunde in Deutschland. Niemand fühlt sich zuständig für seine Rechte und Belange.
„Mit einem Freund gehe ich eine Liste von Symptomen durch. Bei der Frage nach Selbstmordgedanken kommen mir die Tränen, aber jedenfalls halte ich mich selbst für nicht gefährdet. Nach Rückfrage mit einem Doc in Deutschland besorge ich mir die erstaunlicherweise völlig frei verkäuflichen Pillen in der nächsten Apotheke. Was für eine verlogene Welt hier in Bahrain. Der Alkoholverkauf ist auf nur noch 4 Läden im Land reduziert worden, aber Glücklichmacherdrogen oder wie man in Deutschland sagen würde Psychopharmaka kann man an jeder Straßenecke kaufen. Ach ja, Medizin ist ja immer erlaubt, übrigens auch, wenn es sich bei der Medizin um Alkohol handelt.“
Angaben der Bahrain Human Right Watch Society zufolge, sitzen zur Zeit 4000 Ausländer in Bahrain fest. Sie sind sogenannte Geldgeiseln, die erst ausreisen dürfen, wenn jemand ihre vermeintlichen Schulden bezahlt hat. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um große Summen oder um eine nicht bezahlte Telefonrechnung handelt.
Zum Ausreiseverbot kommt jedoch noch ein Entzug der Arbeitserlaubnis! Der 48-jährige darf auf Jobsuche gehen, doch der potenzielle Arbeitgeber müsste als Erstes bei der Immigration eine Arbeitserlaubnis beantragen. Doch die Aussicht, mit dem Makel ‚unter Travelban‘ einen Job zu finden, tendiert gen Null. Was für eine paradoxe und unlösbare Situation. Jürgens Konto ist eingefroren, seine Miete konnte er lange nicht bezahlen. Was die Deutsche Botschaft in diesem Fall alles NICHT leistet, könnt ihr lesen. Anwälte erwarten in Bahrain Anzahlungen in Höhe von 16.000 – 24.000 Euro. Jürgen hat mittlerweile Hartz IV bewilligt bekommen und hält sich somit über Wasser. Und so ziehen die Jahre einfach ins Land…
„Der Botschaftsangestellten, der mir versucht klar zumachen, dass das ja formal und rechtlich alles durchaus in Ordnung sei und ja unter Umständen auch in Deutschland passieren könnte;
Der einheimische Freund, der mir von einem ähnlichen Verfahren erzählt, welches schon 5 Jahre andauert und noch zu keiner Entscheidung gekommen ist, der Online-Freund, der 13 Monate in Dubai festgehalten wurde und der mir immer wieder sagt, dass man mich irgendwann hier vergessen wird. Ich bekomme es alles mit. Ich fühle mich nicht wie in einer Ohnmacht, ich fühle mich wie in einem Wachkoma. Wie in einem schlechten Traum, einem falschen Film.“„Aufgeben ist keine Option“ sagt Jürgen. „Und wenn dieses Verfahren noch 10 Jahre gehen muss. Ich hab ja nichts zu verlieren, außer ein paar Haare und ein paar Jahre meines Lebens.“
Seine Kinder, so Jürgen, fragen jeden Tag per E-Mail „Papa, wann kommst du nach Hause?“
„Es hat sich vom ersten Tag bis Heute praktisch nichts verändert. Projektionen gehen Richtung 2, 5 oder 10 Jahre, je nachdem mit wem man darüber spricht. Also spricht man lieber nicht mehr, damit die Laune nicht ständig verdorben wird. Das Leben ist ohnehin mehr als kompliziert und die verbleibende Energie wird mehr als dringend für die Wiederherstellung einer normalen Existenz benötigt. Wenn es nur mich persönlich betreffen würde, wäre es noch erträglich, aber zu wissen, dass die Familie, vor allem die Kinder mehr und mehr von dieser Situation in Mitleidenschaft gezogen werden, ist unerträglich.“
Der 48-jährige hat Rechtsschutz nach Konsulargesetz beantragt. Berlin befindet sich offenbar seit Wochen in der Entscheidungsphase. Normalerweise, so teilte man Jürgen mit, würde dem Antrag „nur bei einer drohenden Todesstrafe“ zugestimmt.
Auf einen Rückruf des Auswärtigen Amtes warte ich noch.
Weitere Berichte findet ihr in Tageszeitungen hier. Und auch Jürgen hat alle Ereignisse einmal übersichtlich zusammengefasst.
Weitere Berichte zum Thema Travelban:
Nightmare for Brits trapped by debt in Bahrain
Call to end expat travel bans in Bahrain
Das ist ja unglaublich…
Oh, was für eine Story. Ich werd verrückt.
Oh man, wie krank. Das tut mir so leid, vor allem für die Familie, die Kinder, den Vater. Was für eine schreckliche Situation. Und wie schrecklich langsam und wenig einfühlsam die Behörden arbeiten. Das ist dramatisch.
Wenn ein Arbeitgeber aus Deutschland ihm eine neue Anstellung gäbe und eine Arbeitserlaubnis bei der Immigration beantragt, würde das schon helfen / schneller gehen?
Eine unglaubliche Geschichte – ein Alptraum!
Super Artikel!
@Jo – Danke, Jo.
[…] live. Heike Kaufhold hatte erst kürzlich das Blog entdeckt und die Dinge ausführlich erklärt: Gefangen in Bahrain – der vergessene Deutsche. Dort könnt Ihr erfahren, dass Jürgen in eine wirtschaftliche Insolvenz verwickelt ist. Demnach […]
Toller Artikel. Gut, dass du solche Themen aufgreifst. Was können wir tun?
@Ulrike – Ich habe meinen Artikel gerade mit aktuellen Links upgedated und ich weiß, dass viele Leute ihn heute gelesen haben…
[…] Gefangen in Bahrain – der vergessene Deutsche » Köln Format […]