Der Taxifahrer und ich, wir verstanden uns mit Händen und Füßen. Das klappte erstaunlich gut. Ich handelte einen Festpreis aus, der uns vom Flughafen Atatürk in das Mövenpick Hotel etwas außerhalb der Stadt brachte. Die 30 €  waren für uns beide in Ordnung. Ob ich zu viel und wenn ja wie viel zu viel bezahlte – ich habe keinen blassen Schimmer. Der Verkehr war jedenfalls mörderisch und wir waren locker 40 Minuten unterwegs. Sein Startpreis hatte bei 45 € gelegen.

Tim rutschte also auf die Rückbank, ich neben ihn und schon ging’s los. Die Fahrt entpuppte sich als eine ’stinknormale‘ Taxi Fahrt quer durch Istanbul. Das bedeutet:

  • – konstantes Fahren auf Spuren, die eigentlich nicht vorhanden sind wie Seitenstreifen oder zwischen zwei Fahrbahnen
  • – extensives Stop and Go quer durch die Stadt mit extrem abruptem Bremsen und ruckhaftem Anfahren. Also genau die Fahrbewegungen, bei denen man nach kurzer Zeit gewillt ist, sich zu übergeben
  • – testosterongeprägtes Kampfgehabe um Millimeter beim Reissverschlussverfahren
  • – ausgiebiges Schnalzen bei einem heftigen Unfall auf der linken Spur
  • – mindestens ein Gurt im Eimer (meiner)
  • – Kindersitz nicht vorhanden (hatte ich eh nicht mit gerechnet)
  • – das Verlassen des Seitenstreifens nach Megaphonaufruf durch die Polizei hinter uns

Keine Ahnung. Ich habe aus irgendeinem Grund ein Urvertrauen in die meisten Taxifahrer. Sie wissen schon was sie tun. Sie tun es jeden Tag. Als wir allerdings auf die Autobahn auffuhren rutschte ich auf den Mittelplatz und schnallte mich irgendwie an, das war mir dann doch zu wild.

Während wir im Vollstau durch den Stadtverkehr hetzen, fiel mir siedendheiss ein, EURO ausgehandelt zu haben, ich aber gleich in türkischen Lira bezahlen werden muss. Die ich ja kurz zuvor harakirimässig abgehoben hatte. Die nächsten Minuten verbrachte ich mit Kopfrechnen. Peinlich. Ich kannte den Wechselkurs nicht einmal. ABER an den Geldautomaten auf dem Flughafen ging es den meisten so. Jeder drückte irgendeine Taste um eine unbekannte Summe in türkischer Währung sein eigen nennen zu dürfen. Und so hatte auch ich mich für die letzte Taste entschieden, den höchsten Betrag wenn man nicht selbst einen eingeben will. Dachach macht 600 türkische Lira 289 €.

Ich schreckte aus meiner unkonzentrierten Kopfrechenaufgabe hoch als ein Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene sowie deutlichen Worten aus dem Lautsprecher uns vom Seitenstreifen runter kommandierte. Wir reihten uns wiedermein bis er weg war.

Mein Respekt vor dieser Stadt stieg weiter. Ewigkeiten waren wir schon unterwegs und ein Ende der Stadt war nicht in Sicht. Wir steckten irgendwo mitten in der 4. größten Stadt der Welt! 18 Millionen Menschen wohnen hier! Erste Zweifel kamen auf. Heike, du hast einen Schuss. ISTANBUL. Warum nicht Wann Eichel? Diese Zweifel legten sich allerdings schnell.

Als wir das Mövenpick Hotel erreichten, war Tim gerade eingeschlafen. Die Security warf einen Blick in den Kofferraum, öffnete erst dann die Schranke. Auch am Eingang begrüßten uns Metalldetekoren.

4 Tage Nächte werden wir hier verbringen, die zweite bricht gerade an. Wir wohnen in einer Executive Suite  in der 17. Etage mit Blick auf Istanbul und Zugang zur Skylounge mit Dachterrasse und Bar, wo uns den Tag über feine Leckereien und Getränke zur Verfügung stehen. Gestern Abend und heute Morgen war die Lounge geschlossen, daher kam ich ‚erst‘ heute dazu, die unfassbar hammermässige Dachterrasse zu entdecken. Da sucht man den ganzen Tag nach einer tollen Aussicht und wohnt direkt in einer. Auch wenn man den Bosporus von hier nur erahnen kann. Ich war geflasht und Tim lief auch nur noch aufgeregt hin und her.

Gestern erlebte ich meinen typischen ‚ersten Tag‘ in einer fremden Stadt. Das involviert: Krise kriegen, alles anzweifeln, hektisches Nachschlagen im Reiseführer, und denken: was ritt dich bloß? Damit gehe ich mittlerweile gelassener um, weil ich weiß, dass ich am 2. Tag einen Überblick bekomme und irgendwann die Lage checke. Nach der Anreise verzichtete ich gestern Abend allerdings darauf, mich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anzufreunden. Wir checkten lediglich wo genau die U-Bahn sich befindet – 30 Sekunden zu Fuß vom Hotel entfernt – und streunten durch unser Viertel, das 4. Levent.

Im Netz las ich, es liegt weit ab vom Schuss, es wirkt ‚unaufgeräumt‘. Ah. Perfekt also um sich zu akklimatisieren. Und so zogen wir einfach los, Straß auf, Straß ab. Wir lernten, dass hupen heißt „Achtung ich komme und bremse ungern“ und zählten Straßenkatzen. Wir sahen den Kindern beim Fußballspielen an den steilsten Straßen zu, beobachteten den Autoverkehr, stapften in die kleinen Büdchen und ich legte nach und nach meine Unentspanntheit ab. Es sind solche Momente, warum ich die Kinder gerne ins große Städte im Ausland schleppe. Einfach mal erleben lassen wie es außerhalb von Köln abläuft.

Die Nähe zu den Menschen war für Tim Neuland. Dass ihm wildfremde Menschen über den Kopf streicheln oder ihn in ihren Laden einladen und ihm einen Keks schenken oder Schokolade, nein, das kannte er nicht. Er war irritiert. Verstand die Sprache nicht und versteckte sich. Das hat sich heute schon gelegt. Und auch ich musste mich umgewöhnen. Ich spüre, dass ich erst einmal misstrauisch mit zu viel Freundlichkeit umgehe.

Bei einem älteren Herren, der uns angesprochen hatte weil wir Deutsche waren, ist das Gefühl leider geblieben. Er half uns an einer Metro Station und schloss sich uns an, führte uns in die alte Stadt und damit in die Nähe der Blauen Moschee und des Topkapi Palastes. Er sprach recht gut deutsch, und startete so etwas wie eine Führung mit uns, aber im Opa-Plauderton. Ich konnte das nicht einschätzen und mich nicht mehr auf Tim konzentrieren. So gingen wir nach einer Stunde getrennte Wege. Aber es hinterliess bei mir eine Mischung aus schlechtem Gewissen und Erleichterung.

Ihm hatte ich zu verdanken, dass wir in Sultanahmet landeten und einige der klaren ‚Must Sees‘ direkt mitnehmen konnten. Wir sahen die Blaue Moschee, den Topkapi Palast sowie die Hagia Sophia. Wenn auch nur im durch oder vorbeilaufen. Die Schlangen waren sehr lang und somit musste ich gar nicht darüber nachdenken, es mit Tim im Schlepptau besichtigen zu wollen. Ganz im Gegensatz zur Zisterne Yerebatan Sarnici aus dem 6. Jahrhundert. Von Einheimischen der „Versunkene Palast“ genannt und wahrlich beeindruckend.

Mit einem kurzen Abstecherzum Großen Bazar ging es per Taxi zurück in die Nähe der Galata Brücke und dem Fähranleger. Wir sahen Ewigkeiten den vielen kleinen und großen Schiffen zu, den Fähren, den Möwen, den Quallen, den Anglern auf der Brücke und den frisch geangelten Fischen. Wir kauften ein Fischbrötchen – ein Bali Ekmek – auf dem ICH sitzen blieb und einen frisch gekochten Maiskolben mit viel Salz für Tim, den er glücklich knabbernd verspeiste. Ich durfte probieren und weiß jetzt auch warum sich so viele Menschen permanent im Mund rumprorkeln.

Mein erster Eindruck nach gut 40 Stunden in Istanbul:

wahnsinnig beeindruckend! Am meisten hat mich ehrlicherweise überrascht, dass man eben nicht ständig angesprochen wird, es ist viel viel entspannter als ich es mir ausgemalt hatte! Modern, alt, kinderfreundlich, unverfälscht, immer voller Menschen. An wirklich jeder Ecke gibt es was spannendes zu entdecken. Die Metro ist super modern und sauber, man fährt zwangsweise viel mit dem Taxi und das Efes schmeckt so gut wie vor 18 Jahren.

Was ich aber jetzt schon sicher weiß: Einmal Istanbul ist keinmal Istanbul!

Eindeutige Schwachsinnsaktion des bisherigen Aufenthaltes: vor der Blauen Moschee ein Bootstour Ticket kaufen für eine 2 ständige Fahrt auf dem Bosporus und mich dann heimlich verpieseln weil es so krass touristisch war.

Meine Reise wird unterstützt von Turkish Airlines und Mövenpick Hotels und Resorts.

21 Gedanke zu “Unter 18 Millionen Menschen – meine ersten Erfahrungen mit Istanbul”
    1. @Yvonne – Haha! Das mit der Postkarte hatte ich gerade wieder rausgenommen. 😉 Ich schreibe es auf meine Liste. Tim muss ich noch von den türkischen Gerichten überzeugen… 😉

  1. Ich war noch nie in Istanbul, möchte allerdings auch dieses Fleckchen Erde mal sehen und erleben. Noch mehr nach Deinem Bericht.
    Ich liebe es fremde Städte zu erkunden und das Fremdländische, Andere für ein paar Tage zu erleben.
    Herrlich! Wieder ein toller Reisebericht von Dir! Man spürt förmlich die besondere Atmosphäre.

    1. @Tanja – Istanbul ist eine Mischung aus überfüllt, chillig, verzaubernd und mystisch. Und ich habe eigentlich noch nichts von der Stadt gesehen, und auch noch keinen dieser Sonnenuntergänge von denen alle sprechen. Aber ich bin so gespannt auf Morgen!

  2. Coole Fotos und guter & langsamer Einstieg in diese riesige Stadt. Istanbul steht ja auch noch meiner Liste, allerdings wusste ich auch nie so ganz wo ich da mit dem Fotografieren überhaupt anfangen soll.
    Könntest du nur vielleicht einem unwissenden Bayer die Bedeutung des Wortes „rumprorkeln“ erklären? Biete im Gegenzug auch ein Training für die korrekte Aussprache von „Oachkatzlschwoaf“ ;D

    1. @Phil – Rumprorkeln ist vergleichbar mit heftigstem Popeln. 😉 Nur eben im Mund. Willst du mehr wissen? Und dein Wort habe ich noch nie zuvor wahrgenommen… 😉

  3. Hotel mit Dachterrasse, hört sich in der Tat super an. Ich habe richtig verstanden, daß ihr mit Nachwuchs da seid? Das finde ich mutig, meiner wäre nach dem ersten Kilometer nur noch am Quängeln. Und was den „Reiseführer“ angeht, bei all zu viel Freundlichkeit wäre ich auch äußerst mißtrauisch. Aber so bin ich halt … :-). Viel Vergnügen die weiteren Tage.

    LG
    Michael

    1. @Michael – Ja, ICH bin mit meinem 5jährigen hier. Er ist ein touchier Läufer und hat nicht einmal gequängelt bei all dem gehen. Im Gegenteil, er ist noch über die Laufbänder der Metro bis ins Hotel gerannt… 😉 Und vielen Dank!

  4. Wie herrlich ist das denn … Du hast die Atmosphäre richtig beschrieben, tolle Fotos dazu und eine wahnsinnig schmunzelnde Reportage. Freu mich schon auf die anderen Tage die Du erleben konntest. Ich denke Deinem Sohnemann wird es wahnsinnig Freude gemacht haben, nach dem auftauen in der fremden Stadt.
    LG sendet Dani

    1. @Dani – <3 Es war wirklich beeindruckend. Und das kann Istanbul nicht gewesen sein für mich. Ich muss da nochmal hin...Danke dir für deine Worte!

  5. Tolle Fotos! Ich darf auch bald nach Istanbul (Mai oder Juni – ins gleiche Hotel) und freue mich jetzt noch mehr drauf. Gerade mit Kind war ich etwas ängstlich, auch weil eine Freundin, die jahrelang in Istanbul gelebt hat, meinte, es wäre jetzt nicht so wirklich für Kinder geeignet. Jetzt siegt definitiv die Neugier und die Vorfreude.
    Vielen, vielen Dank für deinen Reisebericht!

    1. @dani – Woah. Toll! Das freut mich! Es folgt bald natürlich noch ein ausführlicher, auch was die Lage und die Stadtteile angeht. Aber ich bin immer noch hin und weg von Istanbul und plane meinen nächsten Aufenthalt, der vielleicht etwas länger dauern wird. 😉 Ich wünsche dir ganz viel Spaß und vielen Dank für dein Feedback!

  6. Seit 30 Jahren jedes Jahr in Istanbul und immernoch steigt jeden Sommer diese Sehnsucht in mir auf. Istanbul ist keine Megacity, Istanbul ist ein Lebensgefühl.
    Da du das nun auch weisst, kannst du uns ja mal auf einen Cay besuchen wenn wir mal zeitgleich dort sind. Unsere Dachterasse kann locker mit dem Mövenpick mithalten 😉

    1. @Can – Das glaube ich dir sofort und sehr gern. Deinen Tipps habe ich es teilweise zu verdanken, dass wir gelandet sind wo wir landeten. Bei unserer Dachterrasse fehlte ganz klar das Meer, das kam vielleicht ein wenig kurz, ebenso wie die mystischen Sonnenuntergänge, die uns dank des regnerischen Wetters in den letzten Tagen eher verwehrt geblieben sind…Aber das mit dem Lebensgefühl, ja, das hast du sehr schön gesagt…

  7. Hallo! Was für ein toller Beitrag!!! Ich habe ihn verschlungen und werde es sicher nochmal tun. Ich habe schon oft überlegt, ob Istanbul mit Kind geht. Mein Sohn wird übermorgen 5….ich denke, wir sind reif für Istanbul! Danke für’s Mutmachen!!!!

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