Für einen Sauerländer ist es nicht ganz leicht, den rheinischen Frohsinn an sich ran zu lassen. Der eine nimmt ihn dankbar an, dem  anderen springen nur noch Fragezeichen aus dem Gesicht. Wir Lüdenscheider sind eben geprägt von einer latenten Sachlichkeit. Wenn mein Vater mir damals zweimal fest auf die Schulter klopfte und dabei leicht mit dem Kopf nickte, so hiess das übersetzt:

„Heike, was eine geile Scheisse!“

An dieser Sachlichkeit änderte sich auch nichts, als ich vor über 15 Jahren die Stadt wechselte um das Leben in einer Kleinstadt gegen das in einer Karnevalshochburg zu tauschen. Ich kann eigentlich immer noch nicht glauben, dass sich jedes Jahr gefühlt 1 Million Menschen tagelang verkleiden um dann in einem Raum-Zeit Kontinuum zu verschwinden. Manchmal ploppen sie kurz wieder auf und sind aber genauso schnell wieder weg. Das eigentliche Leben liegt 6 Tage lang brach.

In meinen 15 Jahren in Köln habe ich so ziemlich alle Versionen durchprobiert, um mich in irgendeiner Form an diesem Frohsinn beteiligen zu können. Richtig feiern. Gar nicht feiern. Halb feiern. Mit viel Alkohol feiern. Mit wenig Alkohol. Ohne Alkohol. Mit Kostüm. Ohne Kostüm. Ohne Kinder. Mit Kindern. Wie ihr euch denken könnt, ist die Kombination ‚Ohne Kostüm und Ohne Alkohol‘ eine der denkbar schlechtesten und die entschärfte Version ‚Ohne Kostüm Mit Alkohol‘ ist nicht viel besser. Natürlich kommt es auch auf die richtige Dosierung des Alkohols an: es gilt, den optimalen Punkt herauszufinden zwischen Wohlfühl-Alkoholpegel und der flott ansteigenden Anzahl der extrem nervigen Toilettengänge in eisiger Kälte oder in überfüllten Kneipen.

Dennoch gilt: den Kindern den Spaß an der Sache nicht zu verderben. Ich kann allerdings nicht behaupten, dass hier im Haus Wochen vor Karneval die kölschen Lieder laufen. Und auch die Entscheidung, welches Kostüm es denn nun in Schule und Kindergarten sein soll, wurde von den Jungs – sagen wir mal – sehr spontan getroffen. So spontan, dass ich in den einschlägigen Läden auf die Frage nach einer Cowboyhose in 128 nur ein lautes Lachen kassierte. Ich drückte also 5 € Aufschlag für eine Lieferung per Amazon Morning Express ab – nur um am nächsten Vormittag das Haus nicht verlassen zu können UND dann fest zu stellen, dass diese Hose einfach nicht geht. Es gelang mir immerhin, die allerletzte Cowboyhose Kölns aufzutreiben. So läuft das eigentlich jedes Jahr. Auch wenn ich mir auch jetzt wieder vornehme, im nächsten anders da ran zu gehen.

Nachdem A. im letzten Jahr während des Rosenmontagszugs von einer Pralinenpackung so unglücklich an der Nase getroffen wurde, dass er die Notaufnahme aufsuchte – ich kicherte erst, schoss dann ein Foto des lädierten Riechorgans und wurde mir erst danach seiner misslichen Lage bewusst – verbrachten wir in diesem Jahr den Sonntag bei unserem kleineren, ungefährlichen aber kamelle-intensiven Veedelszoch.

Seit einigen Jahren blocke ich nun offiziell hier zuhause den Karnevalsdonnerstag, so wie es sich gehört. Weiberfastnacht den Weibern. Wie ich den Tag verbringe, das bleibt mir überlassen. In den ersten Jahren verhielt ich mich nach Plan. Ich startete bei einem Sektfrühstück in den Tag und trank mir mein Kostüm schön. Im Laufe der Jahre liess dieses Bedürfnis nach und ich erkannte: Hey, wenn ich einfach früh morgens das Haus verlasse, habe ich einen ganzen Tag Zeit für IRGENDWAS.

Seither sehe ich zu, dass ich Weiberfastnacht Land gewinne und über die Grenze ins schöne Holland fahre. Allerdings: auch die Holländer feiern Karneval und die Karnevalsmusik ist dort genauso laut. Dieses Jahr allerdings habe ich mir dabei selbst ins Knie geschossen.

Aus eigener Erfahrung weiss ich mittlerweile: Weiberfastnacht ist zumindest in Limburg ein mehr oder weniger normaler Arbeitstag. Shoppen im schönen Maastricht ist möglich, die Läden sind geöffnet. Wer aber glaubt, den Rosenmontag karnevalslos und shoppend im Nachbarland verbringen zu können, der irrt. Auch hier sind die Läden geschlossen, und zumindest einige versprengte Jecken unterwegs. Und während die Jungs ihren dritten Zoch in einem kleinen Dorf in der Eifel gebührend feierten und tütenweise Kamelle fingen, machte ich mich auf den Rückweg…Zum Glück fahre ich gerne Auto.

3 Gedanke zu “Die Sache mit dem Karneval”
  1. Hahahah, ich hab echt gelacht! Ich bin ja auch kein kölsch Mädsche, und eigentlich liebe ich Karneval. Aber Dein Satz „Ich kann eigentlich immer noch nicht glauben, dass sich jedes Jahr gefühlt 1 Million Menschen tagelang verkleiden um dann in einem Raum-Zeit Kontinuum zu verschwinden“ ist absolut wahr. In diesem Sinne: Wie gut das an Aschermittwoch alles vorbei ist! Liebe Grüße
    Ricarda

  2. 😀 Die Kostümfrage ist auch wirklich immer schlimm! Bei mir läuft es meistens jedes Jahr so: Alle Karnevalstage der jecken Kollegin Urlaub geben und mich an Altweiber nach dem Büro in der Bahn schlafend stellen und hoffen das die Fahrt mit Elvis, Braunbär und co schnell vorbei geht. Am Samstag doch noch irgendein Notfallkostüm basteln und bei uns im Dorf den Zug gucken gehen – ok das ist auch echt immer ganz lustig. Rosenmontag nochmal das gleiche Spiel wie Weiberfastnacht. Aufatmen wenn endlich Aschermittwoch ist.

  3. […] Auch wenn bereits seit Aschermittwoch alles Karnevalistische vorbei ist: Heike Kaufhold widmet sich dem Kölner Karneval und hält fest: “ Ich kann eigentlich immer noch nicht glauben, dass sich jedes Jahr gefühlt 1 Million Menschen tagelang verkleiden um dann in einem Raum-Zeit Kontinuum zu verschwinden. Manchmal ploppen sie kurz wieder auf und sind aber genauso schnell wieder weg. Das eigentliche Leben liegt 6 Tage lang brach.” Die Sache mit dem Karneval […]

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